Der Weg zog sich in leichten Serpentinen nach oben. Es sah aus, als ob
der Weg am Ende des Berges einfach aufhören würde.
Schon lange waren außer den Schritten und dem Atem keine Geräusche mehr
zu hören. Selbst der Wind hatte sich in Schweigen gehüllt.
Nach einer Weile hielt sie an um auszuruhen. Sie stützte sich auf ihren
Wanderstock und blickte zu Boden. Nein, sie würde nicht zurückblicken auch nicht einen kurzen Blick. Dann kämen die Schmerzen wieder und die Trauer von dem was sie erhofft hatte und nie bekam. Die Tränen kamen allein schon von den Gedanken daran und sie wusste, das es keinen Weg zurück geben würde, denn es würde
bedeuten, die Hoffnungslosigkeit zu akzeptieren und da wollte sie auf
keinen Fall mehr.
Sie atmete tief durch, rückte den Rucksack zurecht, der alles enthielt
was sie besaß, und ging weiter.
Der Weg würde nicht immer weiter Bergauf gehen, irgendwann ging es
wieder Bergab, doch daran wollte sie jetzt noch nicht denken.
Um die Gedanken abzulenken konzentrierte sie sich auf das Atmen und
gehen. Beides im gleich klang geschehen zu lassen. Der Kies
knirschte unter ihren Füßen und langsam wurde die Landschaft immer
eintöniger. Die Pflanzen fanden hier nicht genug Raum um zu leben,
es gab hier nichts mehr als Steine und wenige verdorrte Büsche.
Die Ruhe tat gut, weit weg vom Lärm, der immer ihr Leben beherrscht
hatte, das Geschrei der Menschen und das Bedrängen von denen, die
alles wissen wollten. Sie wollte nicht mehr erklären und begründen,
sie wollte sich nicht mehr rechtfertigen und entschuldigen. Nie
wieder wollte sie spüren, das sie unfähig war mit anderen Menschen
zu leben, weil sie fürchtete Fehler zu machen, oder abgelehnt zu
werden.
Sie wollte weg von denen, die Gefühle für schlecht hielten und dafür
gesorgt hatten, das sie so schwer an den nie geweinten Tränen und
der unterdrückten Wut trug.
Ihre Trauer, Angst und Wut schluckte sie immer runter, denn hatte man ihr
nicht immer erzählt, das sie nichts wert sei, das sie nichts leisten
könne und das es besser gewesen sei, sie wäre gar nicht da? Von
klein auf wurde ihr vermittelt, das sie überflüssig sei und nur
Probleme mache.
Irgendwann hatte sie es selber geglaubt und Selbstwertgefühl war ein Fremdwort
für sie. Manchmal hatte sie das Gefühl unsichtbar zu sein. Sie
wurde nicht wahrgenommen von der Welt um sie herum.
Ihre Liebe zu den Menschen wurde missbraucht und oft nicht erwidert und
doch hoffte sie immer weiter das sie eines Tages um ihrer selbst
Willen geliebt würde.
Doch nun wollte sie nicht mehr, sie wollte nicht mehr der Abfall sein. Sie
wollte nicht mehr jeden Tag ums überleben kämpfen.
Nicht mehr auf die Glücksmomente hoffen, die ab und an mal kamen und dann
einer Phase grenzenlosem Leiden wichen.
Vielleicht gab es hinter diesem Berg einen Ort an dem sie sein konnte wie sie
war. Mit allen Ecken und Kanten. Mit all den Fehlern die sie in ihrem
Leben gemacht hatte, da sie dachte dadurch dem Glück ein wenig näher
zu kommen.
Wo sie weinen durfte ohne sich dafür zu schämen und wo ihre Angst
nicht belächelt würde
Oder gab es dort sogar einen Menschen, der ihr half ein Leben zu leben in
dem Vertrauen und Zuversicht wieder Platz hatten. Indem das Lachen
und die Fröhlichkeit wieder Platz hatten.
Und wenn nicht hinter diesem Berg, dann vielleicht hinter dem nächsten
oder dem übernächsten.
Sie würde so lange weiter gehen, bis sie ein zu hause finden würde wo
sie bleiben konnte, wo sie leben konnte ohne das ihre Vergangenheit
sie wieder einmal einholte.
Sie wollte nicht mehr flüchten, sie wollte endlich einmal bleiben können
und sie wollte vergessen – jede Erniedrigung, jede Qual und all die
Niederschläge die sie erlitten hatte.
Sie blickte nicht mehr zurück, nie mehr, jetzt blickte sie nach vorn,
und immer einen Schritt und einen Atemzug.